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Verwaltungsgericht Hamburg

Entscheidung vom 29.05.2013, Az.: 17 K 446/12

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21.10.2010 und des Widerspruchsbescheides vom 3.1.2012 verpflichtet, über den Antrag der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die armenischen Kläger, Mutter und zwei minderjährige Kinder, begehren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.

Die Klägerin zu 1. reiste im Jahre 2000 mit ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann unter Angabe einer falschen Identität und Staatsangehörigkeit in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie wurde mit Verfügung vom 9.6.2000 im Hinblick auf die unerlaubte Einreise bestandskräftig ausgewiesen. Wegen der ungeklärten Identität und in Ermangelung von Ausweispapieren wurde die Klägerin zu 1. fortlaufend geduldet.

In den Jahren 2001 und 2002 wurden die Kinder der Klägerin zu 1., die Klägerin zu 2. und der Kläger zu 3., geboren. Mit Antrag vom 16.2.2005 beantragten die Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG: Die Eltern stammten aus Aserbaidschan und seien faktisch staatenlos. Zudem seien sie in die hiesigen Lebensverhältnisse gut integriert.

Im Februar 2007 wurde der Ehemann der Klägerin zu 1. getrennt von der Familie abgeschoben und kam in Armenien zu Tode. Ende September 2009 offenbarte die Klägerin zu 1. ihre Identität und machte unter Vorlage fachärztlicher Atteste geltend, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden. Diese sei auf die Folgen des kriegerischen Konflikts um die Region Berg Karabach zurückzuführen. Zudem habe sie den Tod ihres Ehemanns als „die schlimmste aller Katastrophen“ erlebt. Wegen der vorgelegten Atteste wird auf Blatt 154, 162 und 175 der Sachakte Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 21.10.2010 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab: Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor und die Kläger erfüllten nicht die Passpflicht. Hiergegen legten die Kläger unter dem 15.2.2010 Widerspruch ein. Die Klägerin zu 1. legte ein vom 16.2.2010 datierendes fachärztliches Attest vor, wonach sie wegen einer akuten Belastungsstörung und Trauerreaktion sowie wegen ängstlich-depressiver Symptomatik behandelt werde.

Im März 2010 wurde der Klägerin zu 1. ein Passersatzpapier ausgestellt. Auf Anfrage der Beklagten nach dem Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse teilte das Bundesamt mit Stellungnahme vom 1.12.2010 mit, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht erfüllt seien. Die vorgelegten Atteste genügten nicht den an eine schlüssige Darlegung zu stellenden Anforderungen. Im Übrigen sei in Armenien die flächendeckende medizinische Versorgung gewährleistet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme (Bl. 325 ff. der Sachakte) Bezug genommen.

Nach einem vom 5.6.2011 datierenden weiteren psychologischen Attest deuteten bei der Klägerin zu 1. erhobene Parameter auf einen „Retraumatisierungsprozess“ hin (vgl. Bl. 348 ff. der Sachakte). Das Bundesamt teilte mit Stellungnahme vom 12.12.2011 mit, besagte Stellungnahme ändere nichts an der mitgeteilten Einschätzung zu § 60 Abs. 7 AufenthG.

Mit Bescheid vom 3.1.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung liege im Hinblick auf die geltend gemachten Umstände nicht vor. Es bestünden bereits Zweifel an der Glaubhaftigkeit des tatsächlichen Vorbringens, weil die Klägerin sich als armenische Staatsangehörige offenkundig gar nicht in der Berg Karabach-Region aufgehalten habe. Die Ausreise nach Armenien sei den Klägern zumutbar. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids Bezug genommen. Der Bescheid wurde den Klägern am 11.1.2012 zugestellt.

Mit ihrer am 13.2.2012 – einem Montag – erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie machen geltend, in Armenien gebe es bis zum heutigen Tage keine taugliche medizinische Betreuung von Personen mit posttraumatischen Belastungsstörungen. Die vorgelegten ärztlichen und psychologischen Atteste dokumentierten eine solche Erkrankung der Klägerin zu 1. Im Übrigen sei die Klägerin zu 1. in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Zwar verfüge sie mangels Beschäftigungserlaubnis (noch) über keinen Arbeitsplatz. Doch habe sie die Sprachprüfung B1 erfolgreich absolviert und werde demnächst die Sprachprüfung B2 ablegen. Überdies nehme sie beim Institut für Lernsysteme an einem Studium im Fachbereich „geprüfte Web-Designerin“ an einer Ausbildung teil. Die Kläger zu 2. und 3. dokumentierten durch ihre guten Schulzeugnisse eine hervorragende Integration in den deutschen Kulturkreis. Straftaten könnten der Klägerin zu 1. nicht entgegengehalten werden. Ein wegen des Verdachts der Urkundenfälschung ergangener Strafbefehl sei nicht rechtskräftig geworden, und ihr Verteidiger habe in einer umfangreichen Stellungnahme dargelegt, dass sie mit den ihr zur Last gelegten Taten nichts zu tun habe. Insofern gelte für sie die Unschuldsvermutung.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.10.2010 und des Widerspruchsbescheides vom 3.1.2012 zu verpflichten, ihnen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über den vorgenannten Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffenen Bescheide.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf ihre Schriftsätze Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger das vom staatlich anerkannten katholischen Gymnasium am 31.1.2013 erteilte Zeugnis der Klägerin zu 2. vorgelegt. Danach erzielte sie in den Fächern Deutsch, Englisch, Latein und Mathematik jeweils die Note 2. Unter den „Bemerkungen zur individuellen Lernentwicklung“ heißt es, dass sie interessiert am Unterricht mitarbeite, ihre Hausaufgaben sehr zuverlässig erledige und ihre Arbeitsmaterialien immer dabei gehabt habe. Unter den Rubriken „Selbst-Kompetenz“, „Sozialkommunikative Kompetenz“ sowie „Lernmethodische Kompetenz“ erhielt sie jeweils die zweitbeste Bewertung („stark“) in einer fünfteiligen Skala. In einer zur Vorlage bei Gericht von der Klassenlehrerin sowie der Unterstufenkoordinatorin abgegebenen Stellungnahme vom 16.5.2013 heißt es, dass die Klägerin mittlerweile die 6. Klasse besuche und schnell neue Freundinnen und Freunde gefunden habe. Sie sei leistungsbereit, arbeite engagiert im Unterricht mit, erledige regelmäßig und gewissenhaft ihre Hausaufgaben und bereichere das Unterrichtsgespräch mit guten Beiträgen. Den Übergang nach Klasse 7 werde sie daher problemlos erreichen. Ferner erfreue sie durch eine hohe Sozialkompetenz.

Die Klägerin zu 1. erklärte in der mündlichen Verhandlung, sie habe bei der Beklagten (lediglich) eine Kopie ihres armenischen Passes vorgelegt. Das Original befinde sich in Armenien und könne von ihr beschafft werden. Um internationale Geburtsurkunden und Pässe für die Kinder habe sie sich noch nicht gekümmert.

Die Sachakten der Kläger sind vom Gericht beigezogen worden und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte das Vorliegen eines den Klägern zugutekommenden auf Dauer bestehenden und von ihnen nicht zu vertretenden Abschiebungshindernisses i.S.v. § 25 Abs. 5 AufenthG verneint. Zwar vermag die Kammer ein solches Abschiebungshindernis weder im Hinblick auf die von der Klägerin zu 1. geltend gemachte psychische Erkrankung noch hinsichtlich einer in ihrer Person vorliegenden abgeschlossenen schutzwürdigen Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse zu erkennen (sogleich unter 1.). Doch kann sich die Klägerin zu 2. mit Erfolg darauf berufen, in schutzwürdiger Weise in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert zu sein (2.). Dieser Umstand begründet zugleich ein Abschiebungshindernis für die übrigen Kläger (3.). An der begehrten Verpflichtung der Beklagten sieht sich das Gericht gleichwohl gehindert, weil (noch) nicht alle allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind und die Beklagte insoweit ihr Absehensermessen im Hinblick auf die bislang von ihr nicht erkannte schutzwürdige Stellung der Klägerin zu 2. sowie hinsichtlich der Passbeschaffung durch die Klägerin zu 1. auszuüben haben wird (4.).

1. Die Voraussetzungen für die Erteilung der überhaupt nur in Betracht kommenden Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sind bei der Klägerin zu 1. weder unter zielstaatsbezogenen Gesichtspunkten, der geltend gemachten seelischen Erkrankung (sogleich unter a.) , noch im Hinblick auf eine eigene schutzwürdige Integration (b.) erfüllt.

Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist (§ 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Ist die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt, soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden (§ 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG). Sie darf jedoch nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist, wobei ein Verschulden insbesondere wegen falscher Angaben oder Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit oder wegen Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse vorliegt (§ 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG).

a) Die von der Klägerin zu 1. geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung kann nicht als im Lichte des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 1 GG) bestehendes (zielstaatsbezogenes) rechtliches Abschiebungshindernis anerkannt werden. Das Gericht teilt die Einschätzung des Bundesamtes und der Beklagten, dass eine solche Erkrankung von der Klägerin zu 1. bereits nicht substantiiert dargelegt worden ist (vgl. zu den insoweit zu stellenden Anforderungen BVerwG, Beschl. v. 26.7.12 – 10 B 21.12 - juris Rn. 7).). Den vorgelegten Attesten lässt sich nicht mit der gebotenen Deutlichkeit entnehmen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die gestellte Diagnose beruht. Ferner fehlt eine differentialdiagnostische Abgrenzung bestimmter, die Diagnose stützender Symptome. Die Notwendigkeit einer solchen Abgrenzung drängt sich jedoch auf, weil bei der Klägerin zu 1. auch (lediglich) eine nachhaltige Trauerreaktion in Form einer depressiven Verstimmung wegen des erklärtermaßen als großes Unglück empfundenen Todes ihres Ehemannes vorliegen könnte. Gegen das Vorliegen der behaupteten posttraumatischen Belastungsstörung spricht ferner die Tatsache, dass die Klägerin die angebliche Erkrankung erst neun Jahre nach ihrer Einreise vorgebracht hat. Es ist nicht plausibel, wenn ein Ausländer, der ein humanitäres Aufenthaltsrecht erstrebt, eine schon bei seiner Einreise bestehende massive seelische Erkrankung, die ein solches Recht begründen könnte, erst mit jahrelanger Verzögerung geltend macht. Dass sie die Erkrankung bzw. die ihr angeblich zugrundeliegenden Erlebnisse etwa jahrelang verdrängt hätte, oder die angeblichen Symptome krankheitsbedingt erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung aufgetreten seien, behauptet die Klägerin nicht. Schließlich bestehen an der Wahrhaftigkeit der behaupteten Traumatisierung auch nachhaltige Zweifel, weil die Klägerin zu 1. anscheinend überhaupt nicht aus der Berg Karabach-Region stammt. Den diesbezüglichen substantiiert geltend gemachten Bedenken der Beklagten ist die Klägerin nicht entgegengetreten.

Angesichts dessen kommt es auf die Frage, ob eine solche Erkrankung in Armenien angemessen behandelt werden kann, nicht an.

b. Die Klägerin zu 1. kann sich ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, dass bei ihr ein rechtliches Abschiebungshindernis hinsichtlich der geltend gemachten Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse bestehe. Ein solches rechtliches Hindernis kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, die auf Verfassungsrecht (namentlich Art. 2 Abs. 1, 6 Abs. 1 GG) und/oder auf Völkervertragsrecht (namentlich Art. 8 ERMK) beruhen. Ein rechtlich begründetes Abschiebungshindernis ist dann anzuerkennen, wenn die Rückführung den betroffenen Ausländer in seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 ERMK verletzen würde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.3.2004 – 2 BvR 1570/03 – juris Rn. 10). Die genannten Verfassungsbestimmungen und Art. 8 Abs. 1 EMRK, der bei der Bestimmung ihres Inhalts und ihrer Reichweite als Auslegungshilfe zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 12 f.), schützen das Recht, Beziehungen zu anderen Menschen und zur Außenwelt aufzunehmen und zu entwickeln. Sie beziehen sich auf die Gesamtheit der sozialen Bindung des Ausländers an die Gesellschaft. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls ist von einer insoweit schutzwürdigen Position und einer daraus folgenden Unzumutbarkeit der Abschiebung insbesondere dann auszugehen, wenn die Verwurzelung des Ausländers in Deutschland wegen seiner fortgeschrittenen Integration die Bewertung begründet, dass das geschützte Privatleben nur noch im Bundesgebiet geführt werden kann. Komplementär erfordert diese Bewertung stets, dass die Unmöglichkeit der Reintegration im Herkunftsland vorliegen muss (ständige Rechtsprechung, vgl. aus jüngster Zeit etwa VGH München, Beschl. v. 12.3.2013 – 10 C 12.2697 – juris Rn. 17 m.w.Nw).

Dies zugrunde gelegt, besteht bei der Klägerin zu 1. kein rechtliches Abschiebungshindernis. Allerdings scheidet die Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG und der zitierten Schutznormen nicht bereits deshalb aus, weil die Klägerin zu 1. bezüglich ihrer Identität und Staatsangehörigkeit ursprünglich falsche Angaben gemacht und insoweit getäuscht hat. Zwar ist dieses Verhalten ohne weiteres als Verschulden i.S.v. § 25 Abs. 5 Sätze 3, 4 AufenthG zu bewerten. Doch ist dies nicht mehr kausal für die Duldungserteilung, nachdem die Klägerin ihre wahre Identität offenbart hat und offenkundig über Ausweispapiere verfügt. Dem Anspruch steht ferner nicht entgegen, dass sich die Klägerin lediglich geduldet und nicht erlaubt im Bundesgebiet aufgehalten hat. Soweit in der Rechtsprechung darauf abgestellt wird, dass grundsätzlich nur ein erlaubter Aufenthalt ein entsprechendes schutzwürdiges Vertrauen zu begründen vermöge (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 – 1 C 18/09 – juris Rn. 14) ist damit nicht gesagt, dass dies auch eine zwingende Voraussetzung wäre (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 20.8.09 – 3 Bs 104/09- juris Rn. 15ff; VG Düsseldorf, Urt. v. 11.6.2010 – 7 K 6165/09 – juris Rn. 78 ff, jeweils m.w.Nw.).

Es ist ferner nicht zu verkennen, dass die Klägerin zu 1. auf durch sie erbrachte bemerkenswerte Integrationsleistungen verweisen kann. Dazu zählt zunächst, wie in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, die beachtliche Beherrschung der deutschen Sprache. Zu nennen ist ferner der Umstand, dass sich die Klägerin aus eigenem Antrieb mit beträchtlicher Energie weitergebildet hat. Schließlich fällt auch positiv ins Gewicht, dass sich die Klägerin zu 1. erfolgreich für eine außerordentlich positive schulische Entwicklung ihrer Kinder eingesetzt hat. Auch dies bezeugt ihren Willen, in den hiesigen gesellschaftlichen Verhältnissen Fuß zu fassen. Die fehlende wirtschaftliche Integration wird ihr nicht entgegenzuhalten sein, weil diese, wie die Kläger zu Recht einwenden, auf der Verweigerung einer Beschäftigungserlaubnis beruht. Dass die Klägerin zu 1., sofern ihr die rechtliche Möglichkeit hierzu eröffnet würde, bestrebt und imstande sein wird, den Lebensunterhalt für sich und die Kinder zu sichern, ist nicht zuletzt nach dem Eindruck, den das Gericht von ihr in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, kaum zu bezweifeln. Verwertbare Erkenntnisse über strafrechtliche Verfehlungen der Klägerin zu 1. liegen jedenfalls zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht vor.

Allerdings wird sich die Klägerin zu 1. entgegenhalten lassen müssen, dass sie rechtsmissbräuchlich eingereist ist und ihren Aufenthalt über Jahre durch Verschweigen ihrer richtigen Identität und Staatsangehörigkeit erwirkt hat. Ist dies mangels aktueller Kausalität auch nicht als Verschulden im Sinne von § 25 Abs. 5 Sätze 3, 4 AufenthG zu werten, steht ein solches vorwerfbares und grundsätzlich zu missbilligendes Verhalten doch der Annahme einer „gelungenen Integration“ entgegen. Zudem spricht entscheidend gegen eine schutzwürdige Integration der Klägerin zu 1., dass eine Reintegration in die Lebensverhältnisse in Armenien nicht unzumutbar ist. Dies folgt ohne weiteres daraus, dass die Klägerin ihre Heimat erst als junge Erwachsene verlassen hat. An der hieraus folgenden Vertrautheit mit den Lebensverhältnissen in Armenien und der entsprechenden Möglichkeit, sich dort wieder einzugliedern, wird nicht zu zweifeln sein.

2. Anders verhält es sich zur Überzeugung der Kammer mit der Klägerin zu 2. An der Berücksichtigung der für ein Aufenthaltsrecht wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung sprechenden Umstände sieht sich die Kammer nicht aus Rechtsgründen gehindert (sogleich unter a.). In der Sache sind die insoweit zu fordernden Voraussetzungen erfüllt (b.).

a. Der Schutzbereich des § 25 Abs. 5 AufenthG ist für die Klägerin zu 2. eröffnet. Gegenteiliges ergibt sich weder aus der systematischen Stellung dieser Bestimmung (sogleich unter aa.) noch generell wegen des Lebensalters der Klägerin zu 2. (bb.)

aa. Die Prüfung der sich aus § 25 Abs. 5 AufenthG ergebenden Voraussetzungen für die Bejahung eines Aufenthaltsrechts ist nicht von vornherein aus gesetzessystematischen Gründen ausgeschlossen. Die Vorschrift des § 25a AufenthG steht dem nicht entgegen. Die Kammer teilt die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretene Auffassung, letztere sei für Kinder, deren Integration maßgeblich auf dem Schulbesuch beruhe, den Rückgriff auf § 25 Abs. 5 AufenthG ausschließende Lex Specialis, nicht.

Das Verhältnis der genannten Bestimmungen ist, soweit ersichtlich, von der Rechtsprechung bislang noch nicht entschieden worden (ausdrücklich offen gelassen von OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.3.12 – 8 LB 5/11 – juris Rn. 39). Zwar ist nicht zu verkennen, dass § 25a AufenthG gerade gut integrierten Jugendlichen eine aufenthaltsrechtliche Perspektive eröffnet und dabei maßgeblich auch auf den Besuch einer Schule abstellt. Offenkundig lässt das Gesetz einen so begründeten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch erst nach Vollendung des 15. Lebensjahres zu (vgl. § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Gleichwohl kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, aus systematischen Gründen verbiete sich bei (Schul)Kindern unterhalb der genannten Altersgrenze ein Rückgriff auf § 25 Abs. 5 AufenthG. Eine solche Auffassung verkennt, dass es sich bei § 25 Abs. 5 AufenthG um einen offenen Tatbestand handelt. Dessen zentrales Tatbestandsmerkmal, nämlich der unbestimmte Rechtsbegriff der auf Dauer bestehenden rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise, ist, wie ausgeführt, stets unter Einbeziehung von Normen des Verfassungsrechts und des Völkervertragsrechts auszufüllen. Die von der Beklagten vertretene Auffassung würde mithin dazu führen, dem einfachen Gesetzgeber diesbezüglich eine abschließende Definitionskompetenz einzuräumen. Verfassungsrecht und als Auslegungshilfe heranzuziehendes Völkervertragsrecht steht jedoch nicht in diesem Sinne zur Disposition des einfachen Gesetzes bzw. des nationalen Gesetzgebers. Es wäre zudem mit dem anerkannten Grundsatz unvereinbar, dass es bei der Ermittlung im einschlägigen Sinne schutzwürdiger Rechtspositionen stets auf die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankommt (vgl. EGMR, Urt. v. 14.6.11 – Osman/Dänemark, Nr. 38058/09- juris Rn. 54 m.w.Nw.), wollte man die Integrationsleistungen von unter sechszehnjährigen Kindern und hieran anknüpfende Unzumutbarkeitserwägungen von vornherein ausklammern.

bb. Das jugendliche Alter der Klägerin schließt die Berücksichtigung einer schutzwürdigen Integration auch nicht aus sonstigen Gründen von vornherein aus.

Die Kammer verkennt bei dieser Bewertung nicht, dass nach gefestigter Rechtsprechung bei Minderjährigen grundsätzlich eine familieneinheitliche Betrachtung geboten ist. Wegen des im Vordergrund stehenden Erziehungsrechtes und des faktischen Einflusses der Eltern teilen Kinder in der familiären Gemeinschaft deshalb grundsätzlich das rechtliche Schicksal der Erziehungsberechtigten (vgl. etwa BVerwG ebenda; VGH München, a.a.O. Rn. 19). Doch gilt dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt.

Zum einen wird in der Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass dem Alter von 12 Jahren eine Relevanz als einschlägiger Altersgrenze zukommt. So stellt das Nordrheinwestfälische Oberverwaltungsgericht darauf ab, dass „die rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise (...) jedenfalls für Kinder im Alter von bis zu 12 Jahren (Hervorhebung nicht im Entscheidungstext), die in Haushaltsgemeinschaft mit ihren in Deutschland geduldeten Eltern leben, nicht allein aus ihrem langjährigen Aufenthalt in Deutschland und ihrer Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse abgeleitet werden (kann)“ (OVG Münster, Beschl. v. 22.10.09 – 3 B 445/09 – juris Rn. 117). Das bedeutet, dass Kinder im Alter von „über 12 Jahren“ diesbezüglich als Rechtsträger in Betracht kommen können.

Der Europäische Gerichtshof hebt mit Blick auf die in der „Familiennachzugsrichtlinie“ verankerte Nachzugsaltersgrenze von 12 Jahren hervor, dass diese auf eine Phase im Leben des Kindes abstelle, in der regelmäßig eine solche Verwurzelung in dem bisherigen Lebensumfeld stattgefunden habe, dass „eine Integration in ein anderes Umfeld zu mehr Schwierigkeiten führen kann“ (EuGH, Urt. v. 27.6.06 – C-540/03 – juris Rn. 74).

Hieran anknüpfend sieht die Kammer bei Kindern ab 12 Jahren sachliche Gründe dafür, auch eigene Integrationsleistungen des jungen Menschen wertend in den Blick zu nehmen. Das beruht letztlich auf der entwicklungspsychologischen Erkenntnis, dass die Jahre der Kindheit die Persönlichkeit in besonderer Weise prägen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 15).

Zum anderen erfährt der Grundsatz der familieneinheitlichen Betrachtungsweise im Einzelfall Einschränkungen unter dem Gesichtspunkt zu erwartender besonderer Integrationsschwierigkeiten des Kindes im Land seiner Staatsangehörigkeit. Eine tragende Erwägung dafür, bei Kindern grundsätzlich eine eigenständige Integration nicht als Abschiebungshindernis zu bewerten, liegt in der regelmäßig anzunehmenden Integrationshilfe, die sie bei einer Rückkehr in die Heimat durch ihre Eltern erfahren werden (vgl. VGH München, a.a.O. Rn. 19). Der genannte Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn anzunehmen ist, dass die Eltern hierzu nicht imstande sein werden (vgl. VGH München, ebenda). Für eine solche Annahme besteht vorliegend Anlass. Denn eine Übersiedlung der Klägerin zu 2. nach Armenien würde wegen des Todes des Vaters nicht im „kompletten“ Familienverband erfolgen. Nicht nur die Klägerin zu 1., sondern besonders auch die beiden Kinder würden des Beistands des Vaters entbehren, was in der in hohem Maße patriarchalisch geprägten armenischen Gesellschaft ein großes Defizit bedeuten würde und damit bei lebensnaher Betrachtung die Integration der Klägerin zu 2. zumindest erheblich gefährden würde.

b. Für die Klägerin zu 2. ist ein rechtlich begründetes Abschiebungshindernis anzunehmen. Sie ist vollen Umfangs in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert (sogleich unter aa.). Eine Abschiebung nach Armenien unter Verweis auf eine dortige Integration ist als unzumutbarer Eingriff in die hieraus erwachsenden schutzwürdigen Belange zu bewerten (bb.).

aa. Die Klägerin zu 2. kann auf eine gelungene Integration verweisen und ist in Deutschland auf eine den Schutz der Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 8 Abs. 1 ERMK genießende Weise verwurzelt. Trotz der vorliegenden eher ungünstigen Ausgangsvoraussetzungen, namentlich der Existenz auf unsicherer rechtlicher und wirtschaftlicher Grundlage, der frühen Prägung durch ein nicht deutschsprachiges Elternhaus sowie der abrupten Trennung vom Vater und seinen Tod, hat die Klägerin zu 2. beachtliche Integrationsleistungen vorzuweisen. Sie beherrscht die deutsche Sprache perfekt. Ihr Wille und ihre Fähigkeit, die sich in der hiesigen Gesellschaft bietenden Entwicklungsmöglichkeiten zu nutzen, bekunden sich in ihren überdurchschnittlichen schulischen Leistungen. Nach der mit hervorragenden Noten absolvierten Grundschule besucht sie ein anspruchsvolles Gymnasium, wo sie wiederum überdurchschnittliche Leistungs- und Verhaltensbewertungen erhält. In der mündlichen Verhandlung konnte sich die Kammer davon überzeugen, dass es sich bei ihr um ein Mädchen handelt, das über sein Lebensalter von 12 ½ Jahren hinaus gereift erscheint. Wenn sich die Klägerin, wie in der Verhandlung eindrucksvoll deutlich wurde, in keiner Hinsicht von einer entwickelten deutschen Mitschülerin mit vergleichbar guten Schulleistungen unterscheidet, ist aus der offenkundigen Überwindung der genannten schlechten Ausgangsbedingungen der Schluss zu ziehen, dass sie mit einer Energie, die deutschen Altersgefährtinnen regelmäßig nicht abverlangt wird, ihren festen Standort in der deutschen Gesellschaft gefunden hat.

Hierbei fällt zur Überzeugung des Gerichts besonders ins Gewicht, dass es sich bei der von der Klägerin mit überdurchschnittlichem Erfolg besuchten Schule um eine weiterführende Schule, d.h. um eine auf die Erlangung der Hochschulreife angelegte Einrichtung handelt. Die unter bildungspolitischen Aspekten oft kritisierte frühe schulische Selektion in Deutschland umfasst bei einem für die „höhere“ Schule vorgeschlagenen Kind immerhin die professionelle Einschätzung, dass es nach seinen erkennbaren Fähigkeiten und Anlagen den Schulabschluss der Hochschulreife erreichen werde. Damit hat sich für die Klägerin zu 2. eine konkrete Lebensperspektive eröffnet, die nach kompetenter Prognose in überschaubarer Zeit zur besten schulischen Qualifikation und den damit verbundenen Möglichkeiten für die weitere Entwicklung führen wird. Die Richtigkeit jener Einschätzung hat die Klägerin bislang ausweislich der vorliegenden Leistungsbewertungen und fachlich-pädagogischen Einschätzungen eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Die fehlende wirtschaftliche Integration kann der minderjährigen Klägerin naturgemäß nicht vorgehalten werden. An die Stelle dieses Kriteriums tritt bei ihr der beachtliche schulische Erfolg, der die Grundlage für vielversprechende berufliche Aussichten und eine hiermit verbundene nachhaltige wirtschaftliche Integration bildet (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O. Rn. 102f, m.w.Nw.). Nimmt man die bestehenden außerfamiliären Beziehungen hinzu, die bei einem jungen Menschen stetig an Bedeutung gewinnen und nicht selten zu lebenslangen Freundschaften werden, ist der Klägerin zu 2. eine im eingangs genannten Sinne schutzwürdige Verwurzelung in Deutschland zuzuerkennen.

bb. Diese Verwurzelung besteht auch unter dem komplementären Aspekt einer „Entwurzelung“ gegenüber den Lebensverhältnissen im Land ihrer Staatsangehörigkeit. Das wird bereits durch die Geburt in Deutschland und den seither ununterbrochenen Aufenthalt indiziert (vgl. VG Düsseldorf, a.a.Rn. 105). Zwar beherrscht die Klägerin, wie sie nicht in Abrede stellt, auch die armenische Sprache. Doch hält die Kammer die Einlassung der Klägerinnen für glaubhaft, dass die deutschen Sprachkenntnisse der Klägerin zu 2. ihre armenischen deutlich übersteigen. Der Klägerin ist ferner eine Integration in Armenien unter Einbeziehung der generell zu erwartenden elterlichen Hilfen nicht zumutbar. Das Fehlen des Vaters würde unter den ihr unbekannten Verhältnissen nahezu zwangsläufig wieder die Qualität eines akuten Verlustes erhalten. Dem käme zusätzliches Gewicht zu, weil in Armenien ausgesprochen patriarchalische Verhältnisse herrschen. So würde die Klägerin zu 1. den fehlenden Vater nicht ersetzen können, vielmehr wäre sie selbst als alleinstehende/unverheiratete Mutter vielfältigen Benachteiligungen ausgesetzt, die sie in ihren Möglichkeiten des Einsatzes für die Kinder beeinträchtigen würden.

Die Kammer hält es daher für sehr nahe liegend, dass die Klägerin zu 2. trotz unbestritten vorhandener armenischer Sprachkenntnisse ungemeine Schwierigkeiten haben würde, sich in der für sie weitgehend fremden armenischen Gesellschaft zu orientieren. Das Risiko, dass die hier zu verzeichnende ungewöhnlich positive Entwicklung des Mädchens jäh abbrechen würde, ist nicht von der Hand zu weisen. Zumindest sieht die Kammer die greifbare Gefahr, dass die Klägerin zu 2. die ihren Fähigkeiten entsprechende schulische und berufliche Entwicklung in Armenien nicht nehmen, sondern weit hinter den sich ihr in Deutschland bietenden Möglichkeiten zurückbleiben würde.

Deshalb würde es eine der Klägerin zu 2. nicht zumutbare Beeinträchtigung ihrer den Schutz der genannten Normen genießenden Integration bedeuten und einer Entwurzelung gleichstehen, wollte man sie darauf verweisen, zusammen mit ihrer Mutter und dem kleineren Bruder nach Armenien „zurückzukehren“.

Bei einer derart starken Verwurzelung, verbunden mit konkreten sehr positiven Entwicklungsperspektiven und einer auch durch familiäre Hilfe schwerlich zu kompensierenden Entwurzelung bzw. Fremdheit gegenüber den Verhältnissen in Armenien würde sich eine Abschiebung nach Armenien für die Klägerin zu 2. mithin als unverhältnismäßiger Eingriff in ihr durch Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Privatleben darstellen.

c. Die hieraus resultierende rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung besteht auch auf nicht absehbare Zeit und ist von der Klägerin zu 2. unverschuldet. Dies muss nicht weiter ausgeführt werden. Deshalb ist die Beklagte nach Maßgabe der Soll-Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich gehalten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

3. Hieraus ist für die Klägerin zu 1. und den Kläger zu 3. ebenfalls ein rechtlich begründetes, auf nicht absehbare Zeit bestehendes und unverschuldetes Ausreisehindernis abzuleiten. Insoweit greift, wie ebenfalls nicht weiter ausgeführt werden muss, der durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährte Schutz. Es wäre offenkundig verfassungswidrig, wollte man die Klägerin zu 2. darauf verweisen, ohne ihre Mutter und den jüngeren Bruder allein in Deutschland zu bleiben. Das gleiche gilt aus der Perspektive der übrigen Kläger.

4. Gleichwohl ist keine Spruchreife im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO gegeben. An der begehrten Verpflichtung der Beklagten sieht sich das Gericht gehindert, weil die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG genannten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, die auch bei dem in Rede stehenden humanitären Aufenthaltsrecht erfüllt sein müssen, nicht erfüllt sind. Der Lebensunterhalt der Kläger ist nicht im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert. Ebenso erfüllen die Kläger die Passpflicht nach § 3 AufenthG derzeit nicht. Es steht gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Ermessen der Beklagten, von diesen Voraussetzungen abzusehen. Dieser Ermessensspielraum beruht auf der gesetzgeberischen Erwägung, dass bei einer Aufenthaltsgewährung aus humanitären Gründen die Erteilung eines Aufenthaltstitels typischerweise nicht von der Einhaltung sämtlicher in § 5 genannter Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 70). Ist bei zielstaatsbezogenen Gesichtspunkten die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen stets unzumutbar, ist bei inlandsbezogenen Ausreisehindernissen, wie sie hier gegeben sind, eine einzelfallorientierte Beurteilung geboten. In die Ermessensentscheidung ist namentlich die Vertretbarkeit des jeweiligen Ausreisehindernisses durch den Ausländer, die Bedeutung der nicht erfüllten Erteilungsvoraussetzungen für die öffentlichen Interessen sowie die mit § 25 Abs. 5 AufenthG verknüpfte Vermeidung von Kettenduldungen einzustellen. Von Bedeutung ist zudem das jeweilige Gewicht der verfassungsrechtlichen Wertung, welche der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zugrunde liegt (vgl. etwa OVG Magdeburg, Urt. v. 14.4.2011 – 2 L 238/09 – juris Rn. 55). Unter Berücksichtigung dessen, vermag die Kammer eine „Ermessensreduktion auf null“ weder zugunsten noch zulasten der Kläger zu erkennen.

Insofern wird die Beklagte zugunsten der Kläger zu berücksichtigen haben, dass bislang für die Klägerin zu 1. noch nicht die rechtliche Möglichkeit bestand, den Lebensunterhalt der Familie durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Angesichts der offenkundigen Intelligenz und Tatkraft der Klägerin zu 1. dürfte eine positive Prognose nahe liegen, wobei wegen des Betreuungsbedarfs der Kinder für einen überschaubaren Zeitraum möglicherweise eine ergänzende Gewährung öffentlicher Leistungen hinzunehmen ist. Im Hinblick auf die Kläger zu 2. und 3. dürfte wegen ihrer Minderjährigkeit und des Umstands, dass sie in Deutschland geboren sind, generell ein positiver Ermessensgebrauch geboten sein (BT-Drs. 15/420, S. 80; vgl. OVG Magdeburg, ebenda). Die Beklagte mag zudem den einwanderungspolitischen Gesichtspunkt berücksichtigen, dass am Verbleib von Kindern, denen bereits eine sehr gute Integration und damit die entscheidende Weichenstellung für hohe berufliche Qualifikation gelungen ist, ein erhebliches öffentliches Interesse besteht. Was die Nichterfüllung der Passpflicht betrifft, wird die Beklagte zu berücksichtigen haben, dass die Klägerin zu 1. offenbar einen gültigen Pass vorlegen könnte. Auf der anderen Seite mag in Betracht zu ziehen sein, dass die Klägerin zu 1. keineswegs alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um der Passpflicht für sich und die Kinder zu genügen. Schließlich wird das große Gewicht der für die Gewährung eines Aufenthaltsrechts sprechenden verfassungsrechtlichen Wertungen ins Verhältnis zu dem Umstand zu setzten sein, dass die Klägerin zu 1. ihren eigenen Aufenthalt und damit mittelbar auch den der übrigen Kläger durch rechtsmissbräuchliches Verhalten erreicht hat.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Übrigen folgen die Nebenentscheidungen aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.